Jetzt wo der Ausnahmezustand zu Ende geht, ist es Zeit für eine kritische Bewertung der von der Regierung / dem Nationalrat getroffenen Maßnahmen, wobei es im Folgenden nicht um medizinische Aspekte gehen soll, sondern um Fragen der Entscheidungsethik vor allem im Zusammenhang mit dem von der Regierung verordneten Shutdown.
Anfänglich hatte die Regierung mit dem Shutdown das Ziel verfolgt die Ansteckungsrate lediglich soweit zu reduzieren, dass die vorhandenen Kapazitäten des Gesundheitswesens nicht überlastet werden. Mit der Abflachung der Infektionskurve sollte eine andernfalls unvermeidbar hohe Sterblichkeit vermieden werden. Natürlich kann man bereits diese Absicht mit Hinblick auf den durch den Shutdown zwangsläufig entstehenden wirtschaftlichen Schäden kritisch hinterfragen. Aber spätestens als die Regierung unter dem Motto „Koste es was es wolle“ ihre Strategie dahingehend geändert hatte, dass nach Möglichkeit jede Infektion vermieden werden soll, muss man die Frage stellen, ob und allenfalls wie sich eine solche Strategie rechtfertigen lässt.
Wenn behauptet wird, dass sich Leben mit Geld nicht aufrechnen lässt, so ist das schlichtweg falsch. Tatsächlich gibt es tagtäglich vielfach Abwägungen zwischen wirtschaftlichen Nutzen und der Gefährdung von Leben. Viele lebensgefährliche Tätigkeiten sind erlaubt, da dem wirtschaftlichen Nutzen im Vergleich mit der immanenten Gefährdung, eine höhere Bedeutung zugemessen wird. So wissen wir z.B., dass Autofahren zu tödlichen Unfällen führt. Keiner würde aber auf die Idee kommen, das Autofahren deshalb gänzlich zu verbieten – der wirtschaftliche Nutzen überwiegt.
Darüber hinaus gibt es lebensgefährliche Aktivitäten ohne wirtschaftlichen Nutzen, die ebenfalls erlaubt sind, da andere Grundrechte, wie z.B. die persönliche Freiheit höher eingeschätzt werden. Andernfalls müsste man Fallschirmspringen, Skifahren und viele andere Sportarten, die regelmäßig zu tödlichen Unfällen führen verbieten.
Am Ende liegt es immer in der Verantwortung des Entscheiders die richtigen Abwägungen zu treffen.
Natürlich ist die Verhängung von Ausgangsbeschränkungen und Betriebsschließungen für das gesamte Bundesgebiet per se problematisch. Aus Sicht der Grundrechte wären diese jedenfalls nur für jene Orte auszusprechen gewesen, in denen sich nachweislich eine für die Behörden nicht mehr nachverfolgbare große Anzahl potentiell infizierter Personen aufhält.
Aber angenommen, dass das für alle Gemeinden der Fall gewesen wäre, dann wäre der totale Lockdown notwendig gewesen und hätte, zumindest mittelfristig (das Thema mehrfache Infektionswellen und Herdenimmunität soll hier ausgeklammert bleiben), zweifellos Leben gerettet. Ausgehend von einer etwa 30 fach höheren Sterblichkeit im Vergleich zu einer normalen Grippe könnten dies dann etwa 30.000 Menschen gewesen sein.
Der wirtschaftliche Schaden durch den Shutdown wird zur Zeit mit ca. 7% des BIP, das wären etwa EUR 28 Mrd. angenommen. D.h. der in Kauf genommene wirtschaftliche Schaden pro gerettetes Menschenleben beträgt daher ca. EUR 1 Mio.
Nun kann man das durchaus als angemessen empfinden, allerdings darf für die Regierung nicht das persönliche Empfinden entscheidend sein, sondern muss die Rechtsordnung den Maßstab zur Angemessenheit einer Maßnahme liefern. Und hier ist nun einmal, anhand von Schadenersatzprozessen, festzustellen, dass Leben selten höher als mit EUR 200.000 bewertet wird. Natürlich kann man die in Schadenersatzprozessen zugesprochenen Summen zu Recht als zu niedrig kritisieren, im derzeit geltenden Rechtsumfeld zeigt sich hier aber eine Wertungsdiskrepanz.
Eine weitere Wertungsdiskrepanz zeigt sich, wenn man bedenkt, dass durch das Rauchen jährlich etwa 11.000 bis 14.000 Menschen sterben. Allein durch ein Rauchverbot könnten innerhalb von nur zwei Jahren ebenso viele Menschen vor dem Tod bewahrt werden wie es die Corona-Maßnahmen unter Umständen vermocht haben und das ohne wirtschaftliche Beeinträchtigung.
Natürlich kann man das Rauchen auch mit dem Hinweis auf die Grundrechte verteidigen, aber ebenso sind bei dem Shutdown, andere Grundrechte wie z.B. jenes auf Bewegungsfreiheit, Erwerbsfreiheit oder die Freiheit des Eigentums zu beachten.
Zuletzt soll noch der Aspekt der Schadenswiedergutmachung beleuchtet werden.
Die Bundesregierung begegnet der durch den Shutdown ausgelösten Wirtschaftskrise mit einem EUR 38 Mrd. schweren Hilfspaket. Die Höhe das Pakets lässt einen staunen, wurde doch das Epidemie-Gesetz angeblich deswegen außer Kraft gesetzt, da die darin vorgesehenen Entschädigungen nicht leistbar gewesen wären. Der wiedergutzumachende Schaden beträgt allerdings lediglich EUR 28 Mrd.
Unverständlich ist auch warum nicht die Geschädigten entschädigt werden, sondern das Geld aus dem Hilfspaket nach völlig eigenen Regeln, um nicht zu sagen willkürlich verteilt wird.
Interessant ist auch die Frage wer für die Finanzierung des Rettungspakets aufkommen soll. Nach der allgemeinen, schon im römischen Recht verankerten, Rechtsauffassung hat den Schaden die Solidargemeinschaft gemeinsam zu tragen. Wenn aber jedes gerettete Leben gleichviel wert ist, hat dann nicht jeder gleichviel beizutragen? Nun, es mag gegen unsere christliche Überzeugung sein, aber sowohl das römische Recht als auch unsere Rechtsordnung gehen in diesem Zusammenhang davon aus, dass nicht jedes Leben gleichviel wert ist. Demgemäß hat jeder nach seinem Vermögen zur Schadensgutmachung beizutragen. Eine Freigrenze ist allerdings nicht vorgesehen und eine Freigrenze von 1 Mio. EUR, wie bereits vereinzelt im Zusammenhang mit einer allgemeinen Vermögensabgabe, vorgeschlagen wurde, die die Mehrzahl ungeschoren lassen würde, wäre aus diesem Blickwinkel auch ethisch nicht vertretbar.
Eine „Entschädigung“ in Form einer Gewährung von Darlehen unter der Voraussetzung einer Beteiligung der öffentlichen Hand am Unternehmen kann in diesem Zusammenhang nur als Verhöhnung des Geschädigten gesehen werden.
Abschließend, kann aus Sicht der Entscheidungsethik wohl gesagt werden, dass die Shutdown-Maßnahmen nur individuell für einzelne Gemeinden, nach Prüfung der Gesundheitslage und unter Abwägung der betroffenen wirtschaftlichen Interessen als ultimo ratio und unter der Voraussetzung einer vollen Entschädigung, verhängt werden hätte dürfen – so wie es das Epidemie-Gesetz im Übrigen auch vorgesehen hätte.
Für zukünftige Pandemien ist daher zu fordern, dass das Epidemie-Gesetz wieder vollumfänglich in Kraft gesetzt wird und dass die zuständigen Behörden mit entsprechenden Mitteln ausgestattet werden, um die notwendigen Entscheidungen in der gebotenen Schnelligkeit aber auch mit der gebotenen Sorgfalt und Sicherheit treffen können.