Im folgenden soll es nicht um die Diskussion Herdenimmunität contra Ansteckungsvermeidung gehen – die Regierung hatte unter Unsicherheit zu entscheiden und sich im Vertrauen auf den medizinischen Fortschritt für eine Strategie entschieden – sondern um eine Würdigung der in der Folge getroffenen Maßnahmen.

Anstatt dass die Regierung das seit über 50 Jahren geltende Epidemie Gesetz anwendet hat sie sich dazu entschlossen mit den sogenannten Corona Gesetzen einen neuen Rechtsrahmen geschaffen. Dafür bestand keine Notwendigkeit. Es gab schon früher Pandemien in Österreich (1984 BSE, 1995 Virusgrippe, 2002 SARS, 2004 Vogelgrippe, 2009 Schweinegrippe, 2017 Influenza B/Yam). Es gibt auch keine Maßnahme der Regierung die nicht auch auf Basis des Epidemie-Gesetzes erlassen werden hätte können. Allerdings verlangt das Epidemie-Gesetz verfassungskonform, dass die Maßnahmen verhältnismäßig sind und stellt sicher das die Grundrechte nur soweit als unbedingt notwendig, eingeschränkt werden. Diesen Einschränkungen wollte sich die Regierung offensichtlich nicht unterwerfen.

Das Epidemie-Gesetz sieht Betriebsschließungen, oder Ausgangssperren nur bei konkretem Auftreten der Krankheit in bestimmten Betrieben oder Orten vor. Gegen eine zeitlich befristete Einschränkung von Rechten Kranker oder der Krankheit verdächtiger Personen ist nichts zu einzuwenden. Niemals aber hätten die Ausgangsbeschränkungen und Betriebsschließungen für das gesamte Bundesgebiet erlassen werden dürfen. Diese wären nur für jene Orte auszusprechen gewesen, in denen sich nachweislich eine für die Behörden nicht mehr nachverfolgbare große Anzahl potentiell infizierter Personen aufhält.

Selbst wenn man im ersten Schreck, als man realisierte, dass die Situation auf Grund von Behördenversagen (Ischgl) möglicherweise außer Kontrolle geraten ist, Maßnahmen für das gesamte Bundesgebiet trifft, hätte man diese spätestens nach zwei Wochen, nach Überprüfung der einzelnen Orte, für jene mit einer lediglich überschaubaren Anzahl von Krankheitsfällen wieder aufheben müssen. Darüber hinaus ist es bedenklich, dass die auf Basis der Corona-Gesetze, verhängten Maßnahmen keiner rechtlichen Kontrolle unterliegen. Das Epidemie-Gesetz hat noch Beschwerdemöglichkeiten und eine Überprüfung der angeordneten Maßnahmen zugelassen.

Es verwundert, wie viele Menschen aus Angst Einschränkungen ihrer Grundrechte in Kauf zu nehmen bereit sind. Es sei Ihnen unbenommen vorsichtig zu sein und sich zu isolieren. Es steht der Regierung aber nicht zu, die Bewegungsfreiheit der Mitbürger, die das nicht wollen einzuschränken, selbst wenn es dafür die notwendige parlamentarische Mehrheit geben sollte. Grundrechte sind der demokratischen Disposition entzogen, da sie die unveräußerlichen Rechte der Einzelperson garantieren.

Auch die nun diskutierten sogenannten Lockerungen sind verfassungswidrig. Es kommt der Regierung nicht zu, zu entscheiden welche Berufe wichtig sind, welche Art von Geschäften öffnen dürfen oder wie groß diese sein dürfen etc. Der Gleichheitsgrundsatz verpflichtet die Regierung ihre Entscheidung nach dem Gefährdungspotential zu treffen. Die Ansteckungs-gefahr im Supermarkt ist aber die gleiche wie beim Blumenhändler. Dass die Regierung Blumen für nicht wichtig hält ist irrelevant. Die Entscheidung, was wichtig ist, obliegt einzig dem Bürger und wenn diesem Blumen wichtiger sind als Klopapier, dann riskiert er eben eine Ansteckung im Blumenladen und vermeidet eine solche im Supermarkt.

Dass die Regierung in diesem Zusammenhang von einer neuen Normalität spricht an die sich die Bürger zu gewöhnen haben ist eine Zumutung. Es gibt nur eine Normalität, und zwar jene Art des Zusammenlebens, das unsere Verfassung garantiert. Jede diesbezügliche Einschränkung ist ein ganz und gar nicht normaler Angriff auf unsere Rechte, der im Einzelfall einer außergewöhnlichen Situation geschuldet sein mag, aber niemals zur Normalität werden darf.

Die Corona-Gesetze enthalten so weitreichende und unbestimmte Verordnungsermächtigungen, dass sie allein deshalb schon verfassungswidrig sind. Mit Recht wird in diesem Zusammenhang von Ermächtigungsgesetzen gesprochen. Dass die Regierung darüber hinaus auch versucht mit Erlässen zu regieren, rundet das Bild ab.
Dass sich der Bundeskanzler der Verfassungswidrigkeit bewusst ist, er aber einer Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof gelassen entgegenblickt, weil die entsprechenden Gesetze dann ohnedies nicht mehr in Kraft sind, ist einmalig und macht deutlich, dass der Grundrechtsschutz durch den Verfassungsgerichtshof nicht ausreichend gesichert ist. Dass auch der Bundespräsident, der diese Gesetze beurkundet hat, versagt hat, zeigt das vollständige Versagen unserer demokratischen Institutionen.

Österreich darf nicht zu einer Gesundheitsdiktatur werden. Regierung und Parlament sollten die Bekämpfung des Coronavirus schnellstens wieder auf rechtstaatliche Beine stellen.